Immun-Gen verdreifacht Alzheimer-Risiko
London/Reykjavik – Eine Mutation in einem Gen, das für die Phagozytose von Zelltrümmern im Gehirn zuständig ist, geht mit einem drastisch erhöhten Risiko auf eine Alzheimer-Demenz einher. Das genetische Merkmal ist in der Bevölkerung zwar sehr selten, seine Entdeckung wirft aber ein völlig neues Licht auf die Pathogenese der Erkrankung, was auch zu neuen Behandlungsansätzen führen könnte.
Beim Morbus Alzheimer hat das Gehirn ein Müllproblem: Aus bisher nicht geklärten Gründen kommt es zu einer Anhäufung von pathologischen Proteinen, den Beta-Amyloiden. Unter der zunehmenden Last ersticken die Hirnzellen förmlich. Plaques und Neurofibrillen, die pathologischen Merkmale der Erkrankung, zeigen an, dass ganze Hirnareale im Müll versunken sind.
Bislang haben die Forscher die Ursache bei den Müllerzeugern gesucht. Tatsächlich können Mutationen im Amyloid-Vorläuferprotein oder in den Proteinen Presenilin 1 oder 2, die in den Amyloidstoffwechsel eingreifen, die Plaquebildung verstärken. In den betroffenen Familien kommt es bereits im frühen Lebensalter zur Demenz.
Die neuen Untersuchungen weisen darauf hin, dass es auch Probleme bei der Müllabfuhr geben könnte. Zuständig sind im Gehirn die Mikroglia-Zellen, die vor Ort Zelltrümmer beseitigen. Diese Zellen tragen auf ihrer Oberfläche den TREM2-Rezeptor, der für die Phagozytose benötigt wird. Wie wichtig TREM2 ist, zeigen die Befunde, die die Arbeitsgruppen um John Hardy vom University College London und Kari Stefansson von der Firma deCode in Reykjavik jetzt im New England Journal of Medicine (2012; doi: 10.1056/NEJMoa1211103 und 851) vorstellen.
Beide Gruppen sind bei ihrer Suche nach Risikogenen für eine Alzheimer-Demenz auf dieselbe Variante im TREM2-Gen gestoßen. Vermutlich handelt es sich um eine Missense-Mutation, die die Funktion des TREM2-Rezeptors stört. Die Träger haben ein bis zu dreifach erhöhtes Risiko auf einen Morbus Alzheimer. TREM2 ist nach dem 1993 entdeckten Apolipoprotein E-Allel erst das zweite Gen, das einem erhöhten Risiko auf die sogenannte Spätform des Morbus Alzheimer einhergeht. Die anderen Mutationen führen typischerweise zu einem frühen Erkrankungsbeginn.
Wie das Apolipoprotein E-Allel ist die Variante im TREM2-Gens relativ selten. Weniger als 1 Prozent der Bevölkerung sind betroffen. Für ein Screening ist dies zu selten – einmal abgesehen davon, das ein Gentest nur sinnvoll ist, wenn es eine Therapie gäbe, die dieses Schicksal abwenden oder wenigstens verzögern könnte.
Diese Therapie müsste die Immunantwort im Gehirn stärken, im idealen Fall sollte sie die Funktion des TREM2-Rezeptors unterstützen. Eine solche Therapie gibt es derzeit noch nicht. Der US-Neurologe Norman Relkin vom Weill Cornell in Ithaca im US-Staat New York propagiert zwar seit einiger Zeit die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen. Allgemein überzeugende Ergebnisse konnte sein Team (zuletzt in Electrophoresis 2012; 33: 1975-9) aber noch nicht vorstellen. Die jetzige Entdeckung dürfte aber die Suche nach immunologischen Therapieoptionen stimulieren. © rme/aerzteblatt.de
Quelle: http://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/nachricht-detail/erstes-diagnostikum-fuer-alzheimer/